leseprobe

In dieser Szene erzählt Colas Kate von den Seelenherzen. Ein Schritt zwischen den beiden, der sie nochmals mehr miteinander verbindet.

»Wie kommt es, dass du heute so offen mir gegenüber bist?« , brach Colas nach einer Weile das Schweigen. »Die letzten Male hast du kaum etwas gesagt und bist immer recht schnell wieder abgehauen.«
Kate zuckte mit den Achseln. »Ich habe einer Freundin gestern erzählt, dass ich über Liebe nachdenke. Jetzt brauche ich irgendeinen zum Reden. Und du bist der Einzige, der dafür in Frage kommt.«
Colas‘ Gesichtszüge versteinerten. Er starrte sie an und holte tief Luft. Kate schluckte. »Was?«, fragte sie unsicher. Hatte sie etwas Falsches gesagt?
»Kannst du ihr vertrauen?« Seine Hand spannte sich an und er krallte sich damit im Gras fest, während er den Blick nicht von ihr nahm.
»Natürlich!« Wenn sie jemandem vertrauen konnte, dann Lilith. Sie machte sich zwar selbst Sorgen darum, dass jemand eine Veränderung an Lilith auffallen würde, doch sie glaubte daran, dass alles gut werden würde.
Sie selbst konnte schließlich auch mit den Gedanken umgehen. Mehr oder weniger zumindest.
»Ich hoffe, es war kein Fehler, ihr davon zu erzählen«, murmelte Colas. Dann entspannte er sich wieder und wechselte das Thema. »Worüber wolltest du denn reden?«
Kate fragte sich, womit sie anfangen sollte. Es gab so vieles, was sie loswerden wollte. »Können wir erst woanders hingehen? Wo uns wirklich niemand stört?«, bat sie, um Zeit zu gewinnen.
»Sicher. Aber wenn wir so weit in den Wald hineingehen, dass uns niemand mehr hören kann, wird es spät werden, bis wir wieder zurückkehren.« Kate biss sich auf die Lippe. Sie war in den letzten Tagen schon immer zu spät gekommen und sie wollte ihr Glück, unentdeckt zu bleiben, nicht noch länger auf die Probe stellen. »Wir müssten nicht unbedingt in den Wald«, sagte sie zögernd. Doch dann schüttelte sie die Zweifel ab. Sie glaubte, Colas vertrauen zu können. »Es gibt einen kleinen Strand, zu dem außer mir niemand kommt. Dort kann uns niemand hören.«
Colas stand auf. »Okay. Dann lass uns dahin gehen.« Er reichte ihr eine Hand und lächelte, als sie sie ergriff, um aufzustehen. Er hielt sie einen Moment länger fest als nötig. Kate genoss die Wärme seiner Hand, doch sie zuckte zurück und sah sich um. Es wäre nicht gut, wenn sie jemand sehen würde. Colas schob seine Hände in die Taschen seiner Lederjacke, als sie zu Boden sah und spürte, wie die Hitze in ihre Wangen schoss.
Wortlos legten sie den Weg zum Strand zurück. Colas stieß einen kurzen Pfiff aus, als Kate den versteckten Schalter betätigte und sich ein dunkles Loch im Baum öffnete. »Geh vor«, forderte Kate ihn auf. Sie schloss den Eingang hinter sich wieder und tauchte den Treppenabgang somit in Dunkelheit. Als sie am Strand herauskamen, sog Kate erleichtert Luft in ihre Lungen. Sie blieb stehen und schloss kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war Colas‘ Blick auf sie gerichtet.
»Wie hast du das gefunden?«, fragte er.
Kate zog die Schultern hoch. »Zufall. Ich bin zu weit raus geschwommen und zu diesem Strand gelangt. Und in den Gang bin ich mehr oder weniger gefallen.«
»Gefallen?«
Kate fing an, mit den Füßen Kreise in den Sand zu malen. »Ich wollte mich gegen den Felsen lehnen und dann war da der Eingang.«
Colas lachte. »Nicht schlecht.« Er ging den kurzen Sandstreifen entlang und fuhr mit der Hand über die Stelle, an der sich den Felsspalt zur Treppe befand. »Kommst du oft hierher?«
Kate nickte. »Regelmäßig. Hier sind die Bücher versteckt.«
Als sich Colas zu ihr herumdrehte, schimmerten seine Augen. »Darf ich sie mir ansehen?«
Ein Zwicken breitete sich in ihrer Brust aus. Sie mochte Colas, da bestand kein Zweifel. Sie fühlte sich wohl, wenn er in der Nähe war. Er war nett zu ihr und wusste etwas, das außer Lilith niemand über sie wusste. Dennoch waren die Bücher etwas, das nur ihr gehörte. Sie waren ihr Heiligtum, das vor etlichen Jahren hier vergraben wurde und sie in eine Zeit führte, in der sie glücklich sein konnte. »Du musst es nicht, wenn du nicht willst«, sagte Colas schnell, als er ihr Zögern bemerkte, und sie hörte die Enttäuschung in diesen Worten.
Es war die Tatsache, dass er sie nicht dazu drängte, ihm die Bücher zu zeigen, obwohl er sich danach sehnte. Sie kniete sich in den Sand und grub die Bücherkiste aus. Colas trat hinter sie und sah in die Kiste. Langsam ließ er sich neben ihr auf die Knie sinken und griff nach einem Buch. Vorsichtig, fast zärtlich, strich er über seinen Rücken und schlug die erste Seite auf. »Weißt du, dass du da einen sehr wertvollen Schatz hast?«, hauchte er.
Kate saß dicht genug neben ihm, um ihn zu verstehen. Sie lächelte. »Natürlich. Ohne sie hätte ich dich wahrscheinlich nicht kennengelernt«, gab sie ebenso leise zurück. Colas wandte seinen Blick von dem Buch ab und blickte ihr in die Augen. Sie hielt seinem sturmblauen Blick nicht lange stand. Colas legte das Buch zurück und sagte: »Das ist wohl noch ein Grund, sie einen Schatz zu nennen.«
»Warum verbietet sie der Präsident?«, lenkte Kate das Thema in eine andere Richtung, weil sie nicht wusste, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Sie lehnte sich an den Felsen und Colas setzte sich neben sie.
»Ich weiß es nicht genau. Er behauptet, es sei, damit sich die Leute auf ihre Arbeit konzentrieren. Außerdem können es die meisten Menschen einfach nicht. In der chemischen Zusammensetzung des Menschen fehlt etwas, das ihm ermöglicht zu lieben. Das ist vermutlich auch einer der Gründe, weshalb es richtige Geburten nicht mehr gibt. Früher hatte jeder Mensch ein Seelenherz, das durch die Liebe der Mutter zu ihrem Kind ganz natürlich entstand. Es ist die tiefste Liebe, die es gibt. Doch heutzutage sind die Seelenherzen selten geworden.«
»Ein Seelenherz?«, fragte Kate verwirrt. »Habe ich das auch? Und du?«
Colas lachte leise. »Sicher. Sonst säßen wir nicht hier und unterhielten uns darüber. Bei dir ist es durch die Bücher entstanden, nehme ich an. Durch sie hast du von der Liebe erfahren, hast dir Fragen dazu gestellt.«
»Und wie entstand es bei dir? Durch die Musik?«
»Nein.« Colas machte eine Pause, ehe er weitersprach. »Durch die Liebe meiner Eltern.«

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